Ist eine unangekündigte Wohnungsbesichtigung durch das Finanzamt möglich?
Eine unangekündigte Wohnungsbesichtigung durch das Finanzamt geht auf keinen Fall.
Solange ein Steuerpflichtiger bei der Aufklärung von Sachverhalten mitwirkt, darf das Finanzamt nicht einfach eine unangekündigte Wohnungsbesichtigung durch einen Beamten der Steuerfahndung als so genannter Flankenschutzprüfer veranlassen. Das hat der Bundesfinanzhof (BFH) mit Urteil vom 12.07.2022 (Az.: VIII R 8/19) festgestellt.
Der Fall einer unangekündigten Wohnungebssichtigung:
Die Klägerin war angestellte Geschäftsführerin eines Restaurants und als selbstständige Unternehmensberaterin tätig. Für das Jahr 2015 machte sie bei den Einkünften aus freiberuflicher Tätigkeit erstmals Aufwendungen für ein häusliches Arbeitszimmer in Höhe von 567,12 € geltend.
Ihr Steuerberater reichte auf Nachfrage des zuständigen Finanzamts eine Skizze der Wohnung ein. Der Skizze war zu entnehmen, dass zur Wohnung ein Zimmer gehörte, das maschinenschriftlich mit „SCHLAFEN“ bezeichnet wurde. Diese Bezeichnung war durchgestrichen und wurde handschriftlich durch die Bezeichnung „ARBEIT“ ersetzt. Keiner der übrigen Räume war als Schlafzimmer bezeichnet worden.
Das FA veranlagte die Klägerin daraufhin zunächst erklärungsgemäß und berücksichtigte dabei auch die für das Arbeitszimmer geltend gemachten Betriebsausgaben in Höhe von 567,12 €. Der Bescheid erging unter dem Vorbehalt der Nachprüfung (§ 164 Abs. 1 der Abgabenordnung AO).
Da der Sachbearbeiter des Finanzamts die Skizze für klärungsbedürftig hielt – handschriftlich war auf der Skizze vermerkt: „Wo wird stattdessen geschlafen?“ –, schaltete er mit Schreiben vom 02.05.2017 den hausinternen „Flankenschutzprüfer“ ein. In einem Vermerk an diesen führte er aus: „Die Steuerpflichtige erklärt für VL 2015 erstmalig ein Arbeitszimmer in der Wohnung ‘X-Weg, Z’. Laut eingereichter Skizze (s. Anlage) wird das Schlafzimmer als Arbeitszimmer genutzt, geschlafen werden müsste demnach im Wohn-/Esszimmer. Bitte um Besichtigung durch Flankenschutz, da erstmalig. Veranlagung 2015 erfolgt unter VdN“.
Bei dem Flankenschutzprüfer handelte es sich um einen Beamten der Steuerfahndung. Dieser erschien unangekündigt an der Wohnungstür der Steuerpflichtigen, wies sich als Steuerfahnder aus und betrat unter Hinweis auf die Überprüfung im Besteuerungsverfahren die Wohnung. Die Steuerpflichtige hat der Besichtigung nicht widersprochen.
Das hatte die Flankenschutzprüfung ergeben
Der Flankenschutzfahnder stellte fest, dass die Angaben der Klägerin in der Steuererklärung den Tatsachen entsprachen und das Arbeitszimmer existierte. Er stellte darüber hinaus fest, dass abweichend von dem Wohnungsgrundriss laut Skizze die von der Klägerin angemietete Wohnung über zwei weitere Räume verfügte, von denen einer als Schlafzimmer genutzt wurde.
In seinem Vermerk an den Veranlagungsbezirk wies der Steuerfahnder darauf hin, dass die Klägerin demnächst in die gegenüberliegende Wohnung ziehen werde und abzuwarten sei, welche Raumaufteilung sich dann ergebe.
So lief das Verfahren
Gegen die Besichtigung legte die Klägerin Einspruch ein. Dieser wurde durch Einspruchsentscheidung vom 04.07.2017 als unzulässig verworfen. Und auch das Finanzgericht Münster wies die Klage dagegen zurück.
Dagegen richtet sich die Revision der Klägerin vor dem Bundesfinanzhof, mit der sie die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt.
So urteilten die obersten Finanzrichter
Der BFH urteilte, dass die Besichtigung rechtswidrig war. Zur Überprüfung der Angaben zum häuslichen Arbeitszimmers im Besteuerungsverfahren ist angesichts des in Art. 13 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) verbürgten Schutzes der Unverletzlichkeit der Wohnung eine Besichtigung in der Wohnung eines mitwirkungsbereiten Steuerpflichtigen erst dann erforderlich, wenn die Unklarheiten durch weitere Auskünfte oder andere Beweismittel (z.B. Fotografien) nicht mehr sachgerecht aufgeklärt werden können.
Die obersten Finanzrichter betonten, dies gelte auch dann, wenn die Steuerpflichtige – so wie im Streitfall – der Besichtigung zugestimmt hat und deshalb ein schwerer Grundrechtseingriff nicht vorliegt.
So begründen die BFH-Richter ihr Urteil
- Die obersten Finanzrichter gestanden der Klägerin ein Rehabilitationsinteresse zu, weil durch die Maßnahme ihr berufliches Ansehen gefährdet worden sei. Wie der BFH weiter ausführte, war die Ermittlungsmaßnahme auch deshalb rechtswidrig, weil sie von einem Steuerfahnder und nicht von einem Mitarbeiter der Veranlagungsstelle durchgeführt wurde. Denn das persönliche Ansehen des Steuerpflichtigen kann dadurch gefährdet werden, dass zufällig anwesende Dritte (z. B. Besucher oder Nachbarn) glauben, dass beim Steuerpflichtigen strafrechtlich ermittelt wird. „Die Klägerin hat ein berechtigtes Interesse an der begehrten Feststellung, dass die Ortsbesichtigung rechtswidrig war“, führen die BFH-Richter in der Urteilsbegründung aus.
- Sie hoben hervor, dass eine Wiederholungsgefahr hinsichtlich des Vorgehens des FA für Maßnahmen des Flankenschutzes gegeben sei. „Eine Wiederholungsgefahr bestand aufgrund des Vermerks des Steuerfahnders an den Veranlagungsbezirk, dass die Klägerin demnächst in die gegenüberliegende Wohnung ziehen werde und abzuwarten sei, welche Raumaufteilung sich dann ergebe“, heißt es in der Urteilsbegründung. „Aufgrund dieses Hinweises war nicht auszuschließen, dass das FA infolge des Umzugs der Klägerin in die gegenüberliegende Wohnung erneut am tatsächlichen Vorhandensein eines Arbeitszimmers zweifelt und den Flankenschutzprüfer mit der Aufklärung des Sachverhalts in der (neuen) Wohnung der Klägerin beauftragt.“
- Die BFH-Richter stufen die Maßnahme zudem auch als unverhältnismäßig ein, da die Fragen des FA zur Skizze der Wohnung durch ein mündliches oder schriftliches Auskunftsersuchen an den steuerlichen Berater der Klägerin hätten geklärt werden können.
- Eine Beauftragung der Steuerfahndung mit der Überprüfung der tatsächlichen Verhältnisse vor Ort sei im Streitfall nicht erforderlich gewesen.