Anzeigepflicht und Berichtigungspflicht gem. § 153 AO
Die Anzeigepflicht bzw. Berichtigungspflicht erstreckt sich neben den Stpfl. insbesondere auch sowohl auf die Gesamtrechtsnachfolger eines Stpfl. als auch auf die gesetzlichen Vertreter, Vermögensverwalter und Verfügungsberechtigten.
1. Allgemeines
Erkennt ein Stpfl. nachträglich vor Ablauf der Festsetzungsfrist (→ Festsetzungsverjährung), dass eine
- von ihm oder für ihn abgegebene Erklärung unrichtig oder unvollständig ist und
- es dadurch zu einer Verkürzung von Steuern kommen kann oder bereits gekommen ist,
so ist er gem. § 153 AO verpflichtet, dies unverzüglich anzuzeigen und die erforderliche Richtigstellung vorzunehmen.
Das BMF hat den Anwendungserlass zu § 153 AO mit Schreiben vom 23.5.2016 (BStBl I 2016, 490) veröffentlicht.
2. Anzeigepflicht
Die Anzeige- bzw. Berichtigungspflicht erstreckt sich neben den Stpfl. insbesondere auch sowohl auf die Gesamtrechtsnachfolger (→ Gesamtrechtsnachfolge) eines Stpfl. als auch auf die gesetzlichen Vertreter, Vermögensverwalter und Verfügungsberechtigten.
Eine steuerrechtliche Anzeige- und Berichtigungspflicht nach § 153 Abs. 1 Nr. 1 AO besteht auch dann, wenn der Stpfl. die Unrichtigkeit seiner Angaben bei Abgabe der → Steuererklärung nicht gekannt, aber billigend in Kauf genommen hat und er später zu der sicheren Erkenntnis gelangt, dass die Angaben unrichtig sind.
Kennt der Stpfl. bei Abgabe einer Steuererklärung deren Unrichtigkeit nicht und nimmt er eine solche auch nicht billigend in Kauf, unterliegt er einem vorsatzsauschließenden Tatumstandsirrtum i.S.d. § 16 Abs. 1 StGB. Er ist dann insoweit straflos.
Hat er die Unrichtigkeit leichtfertig nicht erkannt, kommt das Vorliegen einer Ordnungswidrigkeit der leichtfertigen Steuerhinterziehung nach § 378 AO in Betracht. Erlangt der Stpfl. in einem solchen Fall nachträglich Kenntnis von der Unrichtigkeit der Angaben, trifft ihn die Anzeige- und Berichtigungspflicht des § 153 Abs. 1 Nr. 1 AO. Kommt er dieser Pflicht vorsätzlich nicht nach, ist er strafbar wegen Steuerhinterziehung durch Unterlassen gem. § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO.
3. Keine Berichtigungs- oder Erklärungspflicht nach Veranlagungsfehler des Finanzamts nach fehlerfreier Steuererklärung
Mit der Abgabe einer vollständigen und ordnungsgemäßen Steuererklärung hat der Steuerpflichtige seine Erklärungspflicht erfüllt. Weicht die aufgrund der zutreffend erklärten Tatsachen durchgeführte Veranlagung des Steuerpflichtigen zu dessen Gunsten vom geltenden Recht ab, ergeben sich aus dem Verfahrensrecht keine weiteren Erklärungspflichten. § 153 Abs. 1 Nr. 1 AO sieht eine Erklärungspflicht im Anschluss an eine abgegebene Steuererklärung nur vor, wenn diese Erklärung »unrichtig oder unvollständig« war. Fehlt eine solche Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit, bestehen keine Berichtigungs- oder Erklärungspflichten nach § 153 AO (BFH vom 5.10.1966, BFHE 1987, 539, BStBl III 1967, 231).
Wird eine fehlerfreie Steuererklärung abgegeben, wird eine Steuerhinterziehung nicht begangen, wenn in den Folgejahren ein vom Finanzamt zu Unrecht bestandskräftig festgestellter Verlustvortrag gelten gemacht wird (BFH vom 4.12.2012, BStBl II 2014, 222).
Hat der Entrichtungsschuldner die Kapitalertragsteuer ordnungsgemäß angemeldet und abgeführt, lebt die Erklärungspflicht auch nach § 153 AO nicht wieder auf, wenn er nach einem Hinweis seitens des FA erfolgreich beantragt hat, die Steuerfestsetzung aufzuheben und die Beträge zu erstatten (BFH vom 8.4.2014, I R 51/12, BStBl II 2014, 982).
4. Nachträgliche Erkenntnis
Die Erkenntnis der Unrichtigkeit bzw. Unvollständigkeit i.S.d. § 153 AO muss nach Abgabe der → Steuererklärung eintreten.
5. Berichtigungspflicht bei Erben
Auch eine wegen Demenz des Erblassers unwirksame Einkommensteuererklärung führt, wenn sie unrichtig oder unvollständig ist, zu einer Berichtigungspflicht des Erben nach § 153 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und Satz 2 AO, bei deren Verletzung eine Steuerhinterziehung nach § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO durch Unterlassen vorliegen kann (BFH Urteil vom 29.8.2017, VIII R 32/15, BStBl II 2018, 223 LEXinform 0447795). Der Erbe tritt sowohl in materieller als auch in verfahrensrechtlicher Hinsicht in die abgabenrechtliche Stellung des Erblassers ein.
6. Abgrenzung zur Selbstanzeige nach § 371 AO
Sowohl im Fall einer Anzeige und Berichtigung nach § 153 Abs. 1 AO als auch im Fall einer Selbstanzeige muss die Erklärung im Zeitpunkt ihrer Abgabe objektiv unrichtig gewesen sein. Objektiv unrichtig ist die Erklärung, wenn sie entgegen § 90 Abs. 1 Satz 2, § 150 Abs. 2 Satz 1 AO nicht alle steuerlich erheblichen Tatsachen vollständig und wahrheitsgemäß offenlegt (vgl. AEAO zu § 153 Nr. 2).
Die Anzeige und Berichtigungspflicht nach § 153 AO besteht, wenn der Steuerpflichtige ohne Vorsatz und Leichtfertigkeit eine unrichtige Erklärung abgegeben hat. Sie besteht nicht bei einer von vornherein bewusst und gewollt unrichtigen oder unvollständigen Steuererklärung (→ Steuerhinterziehung), da § 153 AO den Stpfl. (→ Steuerpflichtiger) nicht zur Selbstbezichtigung oder → Selbstanzeige i.S.d. § 371 AO zwingt.
Ein Fehler, der dem Anzeige- und Berichtigungspflichtigen i.S.d. § 153 AO unterlaufen ist, ist straf- bzw. bußgeldrechtlich nur vorwerfbar, wenn er vorsätzlich bzw. leichtfertig begangen wurde (vgl. AEAO zu § 153 Nr. 2.5). Es gelten die allgemeinen Regelungen des Straf- bzw. Ordnungswidrigkeitenrechts (§ 369 Abs. 2, § 377 Abs. 2 AO). Es ist zwischen einem bloßen Fehler und einer Steuerstraftat oder Steuerordnungswidrigkeit (§§ 370, 378 AO) zu differenzieren. Nicht jede objektive Unrichtigkeit legt den Verdacht einer Steuerstraftat oder Steuerordnungswidrigkeit nahe. Es bedarf einer sorgfältigen Prüfung durch die zuständige Finanzbehörde, ob der Anfangsverdacht einer vorsätzlichen oder leichtfertigen Steuerverkürzung gegeben ist. Insbesondere kann nicht automatisch vom Vorliegen eines Anfangsverdachts allein aufgrund der Höhe der steuerlichen Auswirkung der Unrichtigkeit der abgegebenen Erklärung oder aufgrund der Anzahl der abgegebenen Berichtigungen ausgegangen werden.
Ein straf- oder bußgeldrechtlich vorwerfbares Verhalten kann auch dann vorliegen, wenn die Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit der abgegebenen Erklärung erkannt, aber keine (ggf. auch erneute) Berichtigung entsprechend der Verpflichtung aus § 153 AO vorgenommen wurde. In diesem Fall liegt eine Unterlassungstat vor.
Wird die in § 153 AO vorgesehene Anzeige rechtzeitig und ordnungsgemäß (freiwillig) erstattet, so wird ein Dritter, der die in § 153 AO bezeichneten Erklärungen abzugeben unterlassen oder unrichtig oder unvollständig abgegeben hat, strafrechtlich nicht verfolgt, es sei denn, dass ihm oder seinem Vertreter vorher die Einleitung eines Straf- oder Bußgeldverfahrens wegen der Tat bekannt gegeben worden ist (§ 371 Abs. 4 AO).
Bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 153 AO muss der Steuerpflichtige dem Finanzamt unverzüglich, d.h. ohne schuldhaftes Zögern i.S.d. § 121 BGB, die Berichtigungspflicht anzeigen (vgl. AEAO zu § 153 Nr. 5). Hierbei gilt i.d.R. eine zweiwöchige Frist. Zusätzlich muss der Steuerpflichtige die Berichtigung vornehmen. Hierfür sieht das Gesetz keine Frist vor.
7. Ablaufhemmung der Festsetzungsfrist gem. § 171 Abs. 9 AO
Berichtigungserklärungen i.S.d. § 153 AO hemmen den Ablauf der Festsetzungsfrist (→ Festsetzungsverjährung) nach § 171 Abs. 9 AO. Damit endet die Festsetzungsfrist nicht vor Ablauf eines Jahres nach Eingang der Anzeige. Die Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 3 AO greift insoweit nicht (BFH Urteil vom 8.7.2009, BStBl II 2010, 583).
Die Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 9 AO schließt den Eintritt der Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 5 Satz 1 AO nicht generell aus, wenn die Ermittlungen der Steuerfahndung vor dem Ablauf der ungehemmten Festsetzungsfrist beginnen und die Steuerfestsetzung auf den Ermittlungen der Steuerfahndung beruht (vgl. BFH vom 17.11.2015, VIII R 68/13, BStBl II 2016, 571; bestätigend BFH vom 3.7.2018, VIII R 9/16, BFH/NV 2018, 1295).
8. Zu Unrecht in der Anrechnungsverfügung festgesetzte Erstattung
Wird bei der Datenerfassung der Einkommensteuerfestsetzung die für den Stpfl. einbehaltene Lohnsteuer versehentlich mit einem überhöhten Wert durch das FA erfasst, besteht für den Stpfl. keine Verpflichtung, die überhöhte Steuererstattung dem FA mitzuteilen, soweit diese nicht auf eigenem Verhalten oder Verhalten des Beraters beruht. Der Tatbestand der → Steuerhinterziehung wird dadurch regelmäßig nicht erfüllt. Eine Änderung der Anrechnung ist innerhalb der dafür geltenden Zahlungsverjährungsfrist (→ Zahlungsverjährung) grundsätzlich zulässig (→ Rücknahme und Widerruf von sonstigen Verwaltungsakten gem. §§ 130 und 131 AO). Insoweit ist die Verzinsung der Nachforderung gem. § 233a AO (sog. Vollverzinsung) zu beachten (→ Zinsen). Zum Beginn der Zahlungsverjährung vgl. BFH vom 25.10.2011, BStBl II 2012, 220.
9. Literaturhinweise
Bangert und Schwarz, Die Anzeige- und Berichtigungserklärung nach § 153 AO, NWB 42/2015, 3088; Welling, Der neue Anwendungserlass zu § 153 AO – die Quadratur des Kreises?, IWB Nr. 17 vom 16.9.2016, 630.
Redaktioneller Hinweis:© Schäffer-Poeschel Verlag für Wirtschaft, Steuern, Recht, Stuttgart.
Keine Tags für diesen Steuerberater Beitrag. Related posts