Allgemeinverfügung, Erledigung von Massenanträgen und Masseneinsprüchen
Durch das Jahressteuergesetz 2007 vom 13.12.2006 wurde mit Wirkung ab dem 19.12.2006 die Erledigung von Massenanträgen und Masseneinsprüchen durch Allgemeinverfügung eingeführt.
1. Allgemeines
Zur Teil-Einspruchsentscheidung (§ 367 Abs. 2a AO) und zur Allgemeinverfügung (§ 172 Abs. 3, § 367 Abs. 2b AO) s.a. OFD Karlsruhe vom 15.3.2007 (S 0625/25 – St 332, LEXinform 5230695).
Eine Teil-Einspruchsentscheidung nach § 367 Abs. 2a AO ist im → Einspruchsverfahren insbesondere dann sachdienlich, wenn
- der Einspruchsführer strittige Rechtsfragen aufwirft, die Gegenstand eines beim EuGH, beim BVerfG oder bei einem obersten Bundesgericht anhängigen Verfahrens sind,
- der Einspruchsführer sich auf dieses Verfahren beruft,
- der Erlass einer Fortsetzungsmitteilung gem. § 363 Abs. 2 Satz 4 AO (vgl. AEAO zu § 363, Nr. 4) nicht in Betracht kommt und
- der Einspruch im Übrigen entscheidungsreif ist.
§ 367 Abs. 2b AO ermöglicht den Finanzbehörden, anhängige Einsprüche, die eine vom EuGH, BVerfG oder BFH entschiedene Rechtsfrage betreffen und denen nach dem Ausgang des Verfahrens vor diesen Gerichten nicht abgeholfen werden kann, durch Allgemeinverfügung zurückzuweisen. Damit erübrigt sich, in Masseneinspruchsfällen für jeden Einspruch eine individuelle Einspruchsentscheidung zu fertigen. Gegen die Allgemeinverfügung können die von ihr betroffenen Einspruchsführer Klage erheben. Abweichend von § 47 Abs. 1 FGO endet gem. § 367 Abs. 2b Satz 5 AO die Klagefrist mit Ablauf eines Jahres nach dem Tag der Bekanntgabe der Allgemeinverfügung (= Tag nach der Herausgabe des BStBl, in dem die Allgemeinverfügung veröffentlich wird).
2. Erledigung von Massenanträgen nach § 172 Abs. 3 AO
2.1. Verfahren
Analog § 367 Abs. 2b AO sollen unbegründete, außerhalb eines Rechtsbehelfsverfahrens gestellte Anträge auf Aufhebung oder Änderung einer Steuerfestsetzung nach einer höchstrichterlichen Klärung der im Antrag aufgeworfenen Rechtsfrage nach § 172 Abs. 3 AO rationell abgewickelt werden können. Die Anträge auf Aufhebung oder Änderung einer Steuerfestsetzung beziehen sich auf anhängige Verfahren vor dem EuGH, dem BVerfG und dem BFH. Kann nach Ausgang des Verfahrens den Anträgen nicht entsprochen werden, sind die Anträge durch Allgemeinverfügung zurückzuweisen.
2.2. Ausschluss des Einspruchsverfahrens
Der Ausschluss des Einspruchs in Fällen, in denen außerhalb eines Einspruchs- oder Klageverfahrens gestellte Anträge auf Aufhebung oder Änderung einer Steuerfestsetzung durch Allgemeinverfügung nach § 172 Abs. 3 AO erledigt wurden (§ 348 Nr. 6 AO), dient der rationelleren Abwicklung von Massenrechtsbehelfsverfahren. Es würde dem Sinn und Zweck der vorgenannten Regelung entgegenstehen, wenn über die höchstrichterlich geklärte Rechtsfrage erneut im Rahmen eines Einspruchsverfahrens entschieden werden müsste. Der Rechtsweggarantie wird durch die Klagemöglichkeit mit einer auf ein Jahr verlängerten Klagefrist (abweichend von der Grundregel des § 47 Abs. 1 FGO) hinreichend Rechnung getragen.
3. Erledigung von Masseneinsprüchen nach § 367 Abs. 2b AO
§ 367 Abs. 2b AO soll es den obersten Finanzbehörden ermöglichen, durch eine Allgemeinverfügung (§ 118 Satz 2 AO) Einsprüche, die eine vom EuGH, vom BVerfG oder vom BFH entschiedene Rechtsfrage betreffen, insoweit zurückzuweisen. Der Einspruchsführer wird in diesen Fällen wegen der höchstrichterlichen Klärung in der Regel kein Interesse mehr daran haben, dass über seinen Rechtsbehelf förmlich entschieden wird.
Für die Finanzbehörde bedeutet der Erlass einer förmlichen Einspruchsentscheidung (§§ 366, 367 AO) bei dieser Sachlage eine unnötige und überflüssige Belastung. Im Gegensatz zu § 363 Abs. 2 Satz 2 AO ist es für eine Zurückweisung der Einsprüche durch Allgemeinverfügung nicht erforderlich, dass die Stpfl. sich in ihren Einsprüchen auf das Verfahren vor dem EuGH, dem BVerfG oder dem BFH gestützt haben.
Ob die oberste Finanzbehörde eine Allgemeinverfügung erlässt, steht in ihrem Ermessen. Sie wird von der Möglichkeit einer Allgemeinverfügung nur in den vorgenannten »Massenfällen« Gebrauch machen. Neben der Veröffentlichung im Bundessteuerblatt und auf den Internetseiten des Bundesministeriums der Finanzen kann es angezeigt sein, die Allgemeinverfügung auch durch Pressemitteilungen und durch Aushänge in den Finanzbehörden der Öffentlichkeit zugänglich zu machen.
Der Rechtsweggarantie wird durch die Klagemöglichkeit mit einer auf ein Jahr verlängerten Klagefrist hinreichend Rechnung getragen. § 367 Abs. 2b Satz 6 AO stellt klar, dass eine Klage auch dann gegen die Finanzbehörde, die den mit dem Einspruch angegriffenen Verwaltungsakt erlassen hat, und nicht gegen die oberste Finanzbehörde zu richten ist, wenn der Stpfl. die durch Allgemeinverfügung angeordnete Zurückweisung seines Einspruchs angreift.
Wurde der Einspruch auch wegen anderer Fragen eingelegt, wird er insoweit von der Zurückweisung durch Allgemeinverfügung nicht erfasst. Das Einspruchsverfahren bleibt somit weiterhin anhängig. Über die Rechtsfrage, die Gegenstand der Allgemeinverfügung war, kann in einer eventuell notwendig werdenden Einspruchsentscheidung nicht erneut entschieden werden. Zu berücksichtigen ist dann, dass für eine Klage nach einer Zurückweisung durch Allgemeinverfügung und für eine Klage nach Erlass einer Einspruchsentscheidung durch die örtlich zuständige Finanzbehörde unterschiedliche Fristen gelten.
Die Änderungen treten am Tag nach der Verkündung des vorliegenden Änderungsgesetzes in Kraft.
4. Allgemeinverfügung zum häuslichen Arbeitszimmer
Die Allgemeinverfügung der obersten Finanzbehörden der Länder vom 30.4.2018 (BStBl I 2018, 606) regelt, dass am 30.4.2018 anhängige und zulässige Einsprüche gegen Festsetzungen der Einkommensteuer, gegen gesonderte und einheitliche Feststellungen von Einkünften oder gegen gesonderte Gewinnfeststellungen hiermit zurückgewiesen werden, soweit mit den Einsprüchen geltend gemacht wird, die Nichtabziehbarkeit der Aufwendungen für ein nicht ausschließlich oder nicht nahezu ausschließlich für betriebliche oder berufliche Zwecke genutztes häusliches Arbeitszimmer (§ 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6b oder § 9 Abs. 5 Satz 1 EStG) sei einfachgesetzlich fraglich oder verstoße gegen das Grundgesetz.
Gegen diese Allgemeinverfügung können die von ihr betroffenen Steuerpflichtigen Klage erheben. Ein Einspruch ist insoweit ausgeschlossen. Die Klage ist bei dem Finanzgericht zu erheben, in dessen Bezirk sich das Finanzamt befindet, das den von dieser Allgemeinverfügung betroffenen Verwaltungsakt erlassen hat. Sie ist schriftlich einzureichen oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle des Finanzgerichts zu erklären und gegen das zuständige Finanzamt zu richten. Die Frist für die Erhebung der Klage beträgt ein Jahr. Sie beginnt am Tag nach der Herausgabe des Bundessteuerblattes, in dem diese Allgemeinverfügung veröffentlicht wird. Die Frist für die Erhebung der Klage gilt als gewahrt, wenn die Klage innerhalb der Frist bei dem zuständigen Finanzamt angebracht oder zur Niederschrift gegeben wird.
5. Übersicht über die bisher erlassenen Allgemeinverfügungen
Allgemeinverfügung vom … | Fundstelle | Grund | LEXinform |
30.3.2007 | BStBl I 2007, 274 vom 23.4.2007 | Verfassungswidrigkeit des GrStG | 5230690 und 5230799 |
22.7.2008 | BStBl I 2007, 746 vom 18.8.2008 | Verfassungswidrigkeit der Besteuerung der Einkünfte aus Kapitalvermögen | 5231583 |
22.7.2008 | BStBl I 2007, 747 vom 18.8.2008 | Verfassungswidrigkeit des SolZG (s.a. BMF vom 14.5.2008, BStBl I 2008, 587) | 5231582 |
2.3.2011 | BStBl I 2011, 243 vom 2.3.2011 | Verfassungsmäßigkeit der Nichtabziehbarkeit von Kinderbetreuungskosten als Betriebsausgaben oder Werbungskosten und der begrenzten Abziehbarkeit von Kinderbetreuungskosten als außergewöhnliche Belastung | 5233214 |
9.1.2012 | BStBl I 2012, 12 | Verfassungsmäßigkeit der Verzinsung nach §§ 233a, 238 AO | 5233711 |
25.3.2013 | BStBl I 2013, 348 | Steuerberatungskosten als Sonderausgaben nach § 10 Abs. 1 Nr. 6 EStG | 5234438 |
22.7.2013 | BStBl I 2013, 862 | Zuteilung einer Steueridentifikationsnummer nach § 139b AO oder die Speicherung der Daten nach § 139b Abs. 3 AO | 5234603 |
13.12.2013 | BStBl I 2013, 1606 | 1 %-Regelung für private Pkw-Nutzung | 5234810 |
27.2.2014 | BStBl I 2014, 238 | Verfassungsmäßigkeit des pauschalen Kilometergeldansatzes bei Dienst- oder Geschäftsreisen | 5234918 |
3.11.2014 | BStBl I 2014, 1403 | Verfassungsmäßigkeit der beschränkten Abziehbarkeit von Kinderbetreuungskosten in den Veranlagungszeiträumen 2006 bis 2011 | 5235275 |
9.4.2015 | BStBl I 2015, 243 | Anrechnung der gesamten steuerfreien Zuschüsse zu einer Kranken- oder Pflegeversicherung auf Beiträge zu einer privaten Basiskrankenversicherung oder Pflege-Pflichtversicherung | |
16.12.2015 | BStBl I 2015, 1078 | Verfassungsmäßigkeit der Höhe des Zinssatzes nach § 238 AO | |
16.11.2017 | BStBl I 2017, 1446 | Steuerpflicht bei Zuwendungen an umlagefinanzierte Zusatzversorgungseinrichtungen | |
6.3.2018 | BStBl I 2018, 307 | Verrechnung von Altverlusten aus Termingeschäften mit Neuerträgen gem. § 3 Abs. 4 InvStG | 5255144 |
30.4.2018 | BStBl I 2018, 606 | Nichtabziehbarkeit der Aufwendungen für ein nicht ausschließlich für betriebliche oder berufliche Zwecke genutztes häusliches Arbeitszimmer (§ 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6b oder § 9 Abs. 5 Satz 1 EStG) | 5236607 |
3.6.2019 | BStBl I 2019, 470 | Verfassungsmäßigkeit der Vorschriften über die Einheitsbewertung des Grundvermögens (§ 19 Abs. 1, §§ 68 und 70, § 129 Abs. 2 BewG | |
11.10.2019 | BStBl I 2019, 949 | Regelung zu den ermäßigten Biersteuersätzen für kleinere Brauereien in § 2 Abs. 2 des Biersteuergesetzes 1993 in der Fassung des Artikels 15 des Haushaltsbegleitgesetzes 2004 vom 29.12.2003 (BGBl I 2003, 3076) verstößt nicht gegen das Grundgesetz. |
Abb.: Allgemeinverfügungen
Redaktioneller Hinweis:© Schäffer-Poeschel Verlag für Wirtschaft, Steuern, Recht, Stuttgart.
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